Konstruktion eines Blechanker für eine Stollenuhr
nach Fritz Hönig (UJS 4/91, S.167 ff.)
Bei einem hölzernes Schätzchen – einer Stollenuhr aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – aus den Anfängen der Schwarzwälder Uhrenindustrie ist der Blechanker verloren gegangen.
Einführung: Uhrentyp und technischer Hintergrund
Die vorliegende Uhr ist eine Stollenuhr, benannt nach den hölzernen Wanddistanzbolzen auf der Rückseite des Uhrwerks – den sogenannten Stollen. Anders als bei moderneren Bauformen liegen bei dieser Uhr das Schlagwerk und das Gehwerk nicht nebeneinander, sondern hintereinander. Diese spezielle Bauweise wird als 3-Platinenwerk bezeichnet. In der älteren Schwarzwälder Uhrmachertradition nennt man das ein „eckiges Werk“ – im Gegensatz zum „breiten Werk“, bei dem die Werkseinheiten nebeneinander angeordnet sind.
Ein besonderes Merkmal dieser Uhr ist ihr sogenanntes holzgespindeltes Werk. Das bedeutet: Die Wellen und Triebscheiben bestehen aus Holz, während die Zapfen, Triebstecken und Radscheiben aus Metall gefertigt sind – meist aus Stahl oder Messing. Es handelt sich hierbei also um eine typische Lackschilduhr mit einem hybrid aufgebauten Uhrwerk.
Fachliteraturhinweis
Wer sich näher mit diesen frühen Schwarzwalduhren beschäftigen möchte, dem sei das Buch „Schwarzwalduhr“ von Herbert Jüttemann empfohlen. Für die konkrete Konstruktion eines schmalen Blechankers – wie im vorliegenden Fall – bietet sich das Buch „Technische Grundlagen der mechanischen Uhren“ von L. Lehotzky wertvolle Anleitungen. In diesen Büchern hat man – anders als in manch anderem theoretischem Werk – den Eindruck, dass die beschriebenen Teile tatsächlich gebaut wurden und auf Anhieb funktionierten.

Gangdauer und Einordnung des Werkes
Uhren dieser Art wurden ursprünglich in Varianten mit 12 oder 24 Stunden Gangdauer gebaut. Erst später setzte sich bei der breiten Bauweise das sogenannte 8-Tage-Werk durch. Im ersten Schritt gilt es also zu bestimmen, zu welcher dieser drei Kategorien das vorliegende Werk gehört.
Berechnung der Gangdauer
Aufgrund der 1:1-Übersetzung der ersten Zeigerwerksstufe dreht sich das Kettenrad genau so schnell wie das Viertelrohr – also eine Umdrehung pro Stunde. In den traditionellen Schwarzwaldhäusern war die Deckenhöhe meist nicht höher als 2 Meter. Daraus ergibt sich realistisch eine Gewichtsfallhöhe von etwa 1,3 Metern.
Das bedeutet, dass die Uhr etwa alle 12 Stunden aufgezogen werden musste, was zur 12-Stunden-Bauweise passt.
Konstruktionsbeschreibung: Blechanker für die Stollenuhr
Die Konstruktion dieses Blechankers basiert auf einem historischen Werk aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, einer sogenannten Stollenuhr. Diese Uhrenart unterscheidet sich durch die hintereinander liegenden Werkseinheiten und den Einsatz von holzgespindelten Rädern, also Holzachsen und Holztriebkörpern mit Metallzähnen.
1. Grundlagen der Konstruktion
Würde man versuchen, den Anker schulmäßig auf Tangente zu konstruieren, würde man scheitern, da bei vorgegebenen Ankerübergriff von nur 3,5 die Ankerwelle zu dicht am Rad liegen würde. Deshalb ist hier (wie auch bei den kurzen massiven Stockuhrankern) die Konstruktion “auf der Sehne” durchzuführen.
Aus dem Werk entnommen wurden:
- Hemmungsradzahnzahl (z): 35
- Hemmrad-Durchmesser (d): 44,7 mm
- Achsenabstand Rad-Anker (a): 26,5 mm
Von einem ähnlichem Werk entnommen:
- Ankerübergriff (ü): 3,5 Teilungen
- Hebewinkel (γ): 12°
gewählt:
- Blechdicke: 1 mm
- Ankerwellen-Durchmesser: 3 mm
- Freiraum für das Verstemmen des Ankers: 0,5 mm

2. Konstruktionsschritte
Maßstab wählen
Ein geeigneter Maßstab wird gewählt – im Beispiel 8:1 für ein DIN A4-Blatt. Eine Maßstabsreduktion erfolgt später per Kopierer.

Schritt-für-Schritt-Anleitung
1. Kreis zeichnen
- Um Punkt A (Zentrum des Hemmungsrades) wird der Zahnspitzenkreis gezeichnet.
- Vom Punkt A wird der Achsenabstand a = 26,5 mm nach außen abgetragen.
2. Ankeröffnungswinkel α
Der halbe Ankeröffnungswinkel wird von der Mittellinie nach links abgetragen.
3. Radius RE
- Radius RE ist zentral für den folgenden Konstruktionsprozess.
4. Führungswinkel β festlegen
- Trage an den Radius RE symetrisch verteilt den Führungswinkel β (Klauenbreite) an.
- Die Führungsweite (Breite zwischen den Klauen) berechnet sich stets aus der halben Teilung abzüglich dem Fall f (hier mit 1,8º gewählt).
- Punkte C und D werden am Zahnspitzenkreis markiert.
5. Klauenkreise zeichnen
- Vom Punkt B aus werden die inneren und äußeren Klauenkreise (ki, ka) geschlagen.
- Es wird der Sehnenpunkt E bestimmt sowie der Klaueneckpunkt F.
6. Sehnen SE und SA zeichnen
- Diese verbinden die relevanten Punkte für Ein- und Ausgangsseite.
7. Hebewinkel γ antragen
- Am Eingang: Hebewinkel γ = 12° wird nach unten von SE aus eingetragen.
- Am Ausgang: γ = 12° wird nach oben von SA aus eingetragen.
8. Auffallruhepunkte und Klaueneckpunkt markieren
- Eingangsseite Klauenecke G, Ausgangsseite Ruhepunkt H markieren.
9. Hebeflächen
- Verbindungslinien:
- C → G (Eingangshebefläche)
- H → F (Ausgangshebefläche)
Diese Punkte (C, G, H, F) befinden sich alle auf den Klauenkreisen und sind die Klaueneckpunkte.
3. Formgebung des Ankers
- Die Ankeroberseite verläuft durch den Drehpunkt B und bildet eine Parallele zur Linie CF (Verbindung der Klaueneckpunkte).
- Klauenenden werden nach hinten angeschrägt.
- Hebeflächen (C–G und H–F) werden über deren Tangenten verlängert.
- Daraus lassen sich die Hebekreise he und ha konstruieren.
4. Biegevorlage konstruieren (Maßstabsübertragung)
- Maße abnehmen: Öffnungsmaß GF und Ankerhöhe.
- Rechteck zeichnen: Maßstäblich mit GF als Breite und Ankerhöhe als Höhe. G und F liegen an den unteren Ecken.
- Kreise schlagen: Von G mit Radius ki und von F mit ka bis zur Oberseite.
- Drehpunkt B: Im Schnittpunkt der beiden Bögen.
- Hebekreise he und ha um B zeichnen, Hebeflächen tangieren daran durch G und F.
5. Verkleinerung mit dem Copy-Trick
- Um von einem Maßstab wie 8:1 auf etwa 1:1 zu kommen:
- Verwenden eines Kopierers mit z. B. Reduktionsfaktor 0,64
- Drei Reduktionsgänge bringen Maßstab auf 3,81:1 (0,64³ ≈ 0,262)
- Am PC geht alles einfacher
Hinweise zur Fertigung
- Beachte den Platzbedarf oberhalb von H für den Pendelüberschwungwinkel.
- Ankerblech (1 mm dick) wird in eine 3 mm Nut der Ankerwelle eingesetzt.
- Verstemmraum: Je Seite ca. 0,5 mm.
Diese detaillierte Beschreibung erlaubt eine präzise, praxisnahe Anfertigung eines funktionstüchtigen Blechankers für eine historische Stollenuhr. Wenn du möchtest, kann ich daraus auch eine technische Zeichnung oder Biegevorlage erzeugen.
Knobelaufgabe:
Ermittle aus den gegebenen Werksdaten (Bild 2) die Zahlzahl des Stundenrades und die mathematische Pendellänge.
Lösung:
Stundenrad 48, math. Pendellänge 478 mm