Wie kann ich Ankerhemmung justieren?

23. September 2023 von Redaktion

von Uhrmachermeister Georg Rother in „Deutsche Uhrmacher-Zeitschrift“ Nr. 11/1958 ff.

Diese Ausführungen ergänzen das Buch “Die Armband- und Taschenuhr in der Reparatur“!

Vom Justieren hängt die Funktion der Hemmung ab. Obwohl die Berufsschulen diesen Stoff gründlich behandeln, ist manchen Reparateuren der systematische Verlauf der Arbeitsgänge nicht immer klar , vor allem, weil selten ein Anker bei der Reparatur zu ersetzen ist. Wenn dies aber der Fall sein sollte, so darf man nicht denken, an dem Originalanker sei kaum noch etwas nachzuprüfen. Gerade davon hängt viel ab. Nicht beachtete Fehler zeigen sich bei der Lagen-Reglage.

Häufiger ist eine Ankerklaue (Palette) oder ein Sicherheitsmesser zu ersetzen, weil es beschädigt oder nicht mehr funktionssicher ist. Auch beim Ersetzen einer Palette muss nach dem Ändern der Ruhe das Augenmerk auf die folgenden Funktionen gelegt werden, also auf den Nachfall und das Hörner- und Messerspiel, denn beim Verschieben einer oder beider Klauen verändert sich das nachfolgende automatisch.

Arbeitsgänge beim Justieren der Hemmung
1. Vorarbeiten an der Unruh
2. Anker einsetzen (Ankerhöhe und Höhenspiel ordnen)
3. Ruhe und Fall
4. Nachfall ordnen
5. Unruh einsetzen (Höhenspiel, Gabel- und Messerhöhe prüfen)
6. Hörnerspiel
7. Messerspiel

Zu 1. Vorarbeiten an der Unruh
An einer neuen Unruh, welche wir aus der Fabrikation geliefert bekommen, sind Überprüfungen unvermeidbar. Zuerst aber kontrollieren wir die Unruh auf Rund- und Flachlauf, einbezogen ist die Doppelrolle (Plateau), welche ebenfalls rund und flach laufen muss. Dass die Zapfen der Unruh gut rolliert und mit einer einwandfreien Arrondierung versehen sind, setze ich voraus. Nun sehen wir uns die Doppelrolle noch einmal näher an und legen unser Augenmerk auf folgende Punkte.

1. Der Hebelstein (Ellipse) muss fest und sicher eingepresst und verlackt sein.
2. Der Hebelstein muss von vorn und auch seitlich gesehen gerade stehen.
3. Der Hebelstein muss genau über der Ausfräsung der Sicherheitsrolle stehen.
4. Grat an der Ausfräsung der Rolle entfernen (Bild 1 u. 2).

Bild 1 u. 2

Zu 2. Anker einsetzen
Zur Ankerhöhe: Vorausgesetzt, dass unser Ankerrad flach läuft, soll jeder Zahn durch die Mitte der beiden Ankerklauen gehen (Bild 3). Warum man wohl hier auch Wert auf Genauigkeit legt, wird jedem Fachmann verständlich sein. Als nächstes beschäftigen wir uns mit dem Ankerhöhenspiel. Dieses soll knapp gehalten, doch sichtbar und sicher sein. Haben wir ein Hemmungsrad, welches die Klauen zu hoch durchläuft (Bild 4), außerdem noch reichliches Höhenspiel hat, so ist der sichere Eingriff des Ankers nicht mehr gewährleistet.

Bild 3 u. 4

Ankerhemmung 4

Zu 3. Ruhe – Fall
Da z. B. bei der Veränderung der Ruhe (durch Verschieben einer Palette) der Fall in Mitleidenschaft gezogen wird und sich umgekehrt bei der Veränderung des Falles die Ruhe verändert, ersieht man die Zusammengehörigkeit beider Funktionen.

Man führt die Gabel langsam und sicher, um genau den Zeitpunkt des Zahnabfalles festzuhalten. Jede geringste Bewegung, die der Anker darüber hinaus geführt wird, kann man schon nicht mehr als Ruhe bezeichnen; denn dies gehört schon zur nächsten Funktion. Die Größe der Ruhe soll 1,5–2° betragen. In· jeder Uhr ist eine Gradmessung mittels Messgerät nicht möglich, deshalb müssen wir uns mit dem Augenmaß begnügen. Wir gehen hier so vor, dass die Ruhe die Größe der Hemmungsradzahnferse tragen soll. Besser aber ist es, zwei Drittel Unruhzapfenstärke als Anhaltspunkt zu wählen, da die Hemmungsradzahnfersen oft unterschiedlich sind.

Als allgemeinen Grundsatz für die Größe der Ruhe kann man sagen: Die Ruhe soll knapp, aber sicher sein. Bekannterweise haben wir nach der Ruhefunktion noch den Nachfall (verlorener Weg). Stellen wir bei einer Hemmung schon reichliche Ruhe fest, dazu den Betrag des Nachfalles, so wird der Anker sehr weit in den Bereich der Hemmungsradzähne hineingezogen.

Unsere Unruh wird also hier eine schwere Arbeit leisten müssen, um den Anker aus seiner Ruhelage herauszubringen.

Der Auslösungswiderstand ist in diesem Fall sehr groß. Wir haben Kraftverlust, schweres Angehen in der Ruhelage, unter Umständen sogar ein Stehenbleiben der Uhr zu verzeichnen. Dies zur Begründung der knappen Ruhe.

Nun betrachten wir uns einmal den „Fall”. Während der Hemmungsradzahn an einer Klaue auf Ruhe liegt, können wir den Fall auf der gegenüberliegenden Seite erkennen. Als Fall bezeichnen wir den Abstand zwischen Abfallecke der Ankerklaue und der Ecke der Zahnferse (Bild 5). Er soll – und das vor allen Dingen bei neuen Uhren – auf beiden Seiten gleich groß sein. Bei zu großer Ungleichheit besteht die Gefahr, dass die Palette auf den Zahn aufstößt (Bild 6).

Bild 5 u. 6

Ankerhemmung 6

Wäre der Fall zu berichtigen, so bestehen folgende Gesetzmäßigkeiten:
Der Fall wird an der Seite größer, wo man die Klaue herauszieht, und dort geringer, an welcher man diese hineinschiebt. Dieses Verändern des Falles durch Verschieben der Klauen bringt aber wiederum eine Veränderung der Ruhe mit sich; deshalb muss die Ruhe in Verbindung mit dem Fall geordnet werden. Wir wissen, dass durch Verschieben einer Klaue sich die Ruhe auf beiden Seiten verändert.

Hier ein Beispiel: Die Ruhe ist beiderseitig richtig. Der Fall ist innen zu knapp. Er muss also innen größer gemacht werden. Auf Grund unseres Leitsatzes würden wir jetzt die Eingangsklaue herausziehen, um innen mehr Fall zu bekommen.

Dies ist richtig; aber dabei würde jetzt automatisch mehr Ruhe werden, was wir ja nicht erreichen wollten. Wir müssen hier, nachdem wir die Eingangspalette herausgezogen haben, die gegenüberliegende um den gleichen Betrag hineinschieben, damit die Ruhe wieder normal wird.

Ein zweites Beispiel: Die Ruhe ist zu knapp. Der Fall ist außen zu knapp. Um die Ruhe reichlicher zu machen, ziehen wir nur eine Palette heraus. Da der Fall aber außen zu gering ist, wird man bei dieser Korrektur nur die Ausgangspalette herausziehen, um dadurch beides auf einmal zu ordnen.

Zu 4. Der Nachfall (Verlorener Weg)
Nun kommen wir zum Nachfall (auch verlorener Weg genannt). Man lässt den Anker nach dem Abfall des Hemmungsradzahnes, also der Ruhe, noch ein gewisses Stück nachfallen. Es wäre auch im wahrsten Sinne des Wortes ein verlorener Weg; denn diese nach der Ruhe stattfindende Winkelbewegung kann man nur als Sicherheitsmaßnahme bezeichnen, die sich auf nicht ganz rundlaufende Hemmungsräder bezieht. In dem Fachbuch „Feinstellen der Uhren” (von Dr. Giebel und Studienrat Helwig, Glashütte) ersieht man u. a. noch gewisse andere Momente und Störungsquellen, die der Nachfall zu beseitigen oder wenigstens zu verringern vermag.

Als Hauptsache möchte ich aber herausstellen, dass der Nachfall die Gewähr gibt, dass jeder Zahn mit genügender Sicherheit abfällt. Weiterhin soll der Nachfall auf beiden Seiten gleich groß sein.

Wenn wir unter genauer Beobachtung den Anker fuhren und den Ruhemoment festhalten, so wäre jedes Weitergleiten des Zahnes an der Palette der Nachfall. Bei der Bestimmung seiner Größe begnügen wir uns des Augenmaßes. Man gibt ungefähr eine halbe Ruhe zu. Theoretisch wäre das 1,5° Ruhe plus 0,75° Nachfall, insgesamt also 2,25° liegt der Zahn auf der Klaue (Bild 7). Im Prinzip soll man den Nachfall aber ebenfalls knapp halten, dies entspricht der oben erwähnten halben Ruhe. Die Auswirkungen eines zu reichlichen Nachfalles hatte ich bereits schon bei der Ruhefunktion mit erwähnt. Ich möchte hier nur noch hervorheben, dass ein „Zuviel” außer dem Kraftverlust und des schweren Angehens der Uhr eine Störung des gesamten Schwingungsverlaufes mit sich bringt.

Ankerhemmung 7

Zu 5. Unruh einsetzen, Gabelhöhe und Messerhöhe prüfen
Die Ankergabel muss auf Mitte stehen, d. h. sie soll bei 10° Winkelbewegung gleichen Abstand vom Unruhmittelpunkt haben. Diese Kontrolle dient dazu, das Ordnen des Hörnerspieles zu erleichtern.

Wenn wir die Gabel nicht auf Mitte haben, so ist kein Durchfuhren der Unruh möglich; der Hebelstein stößt an die Hornecke. Ist die Bedingung der „Gabel auf Mitte” erfüllt, setzen wir die Unruh ein und kontrollieren ihr Höhenspiel.

Man gibt hier wieder sichere, aber knappe Höhenluft. Gleichzeitig überzeugt man sich, ob die Höhe der Gabel stimmt und das an ihr befindliche Messer in der Mitte der Sicherheitsrolle steht. Der Hebelstein soll sicherheitshalber etwas im Gabeleingriff vorstehen (Bild 8).

Ankerhemmung 8

Zu 6. Der Gabeleingriff
Das Hörnerspiel: Kommen wir nun zur eigentlichen Verbindung von Anker und Unruh, dem Gabeleingriff, so muss man auch diesen Funktionen Sorgfalt und Genauigkeit zuwenden. Der Hebelstein soll beim Einschwingen und Verlassen der Gabel mit Sicherheit auch an der engsten Stelle im Bereich des Gabelhornes durchgehen. Diese Stelle, an welcher wir die Hörnerluft kontrollieren, ersehen wir in Bild 9, wo die Mitte des Hebelsteines vor der Gabeleinschnittecke steht.

Ankerhemmung 9

Da man diesen Abstand niemals genau zu sehen vermag, muss man ihn durch die Bewegung der Gabel erkennen. Nach dem Abfall des Hemmungsradzahnes führt man die Unruh etwa noch eine Unruhschraubenkopfbreite weiter. Dann steht der Hebelstein dort, wo geprüft werden soll. Mit einem Putzholz druckt man die Gabel sanft an den Hebelstein (Bild 10), um durch den Weg der Gabel, die Hornluft, zu kontrollieren. Bei dieser Gelegenheit kann man sich gleich überzeugen, ob der Anker genügend „Zug” besitzt. Wird die Gabel mit dem Putzholz an den Hebelstein gedruckt, so muss sie beim Loslassen an die Begrenzungsstifte zurückfallen.

Ankerhemmung 10

Haben wir ein zu knappes Hörnerspiel, so kann der Hebelstein an der Schnittecke streifen. Bei zu reichlicher Hornluft kann wiederum der Zahn auf Hebung gleiten und somit die gesamte Hemmung blockieren (Bild 11). Man darf hierbei nur soviel Hörnerluft geben, dass der Zahn noch sicher auf Ruhe liegt (Bild 12). Um ein geeignetes Verhältnismaß anzulegen, könnte man sagen, das Hörnerspiel soll die Hälfte von Ruhe plus Nachfall ausmachen.

Bild 11 u. 12

Ankerhemmung 12

Zu 7. Das Messerspiel
Als letzte Funktion, wenn sämtliche Arbeiten an der Hemmung abgeschlossen sind, prüfen wir das Spiel zwischen Sicherheitsmesser und Rolle. Ein vorheriges Ordnen des Messerspieles wäre unnötig. Das Zusammenwirken von Messer und Rolle prüfen wir auf die gleiche Weise, wie wir es beim Hörnerspiel taten (Bild 13). Hierbei bestehen die gleichen Forderungen. Das Messerspiel soll wesentlich geringer sein als das Hörnerspiel; ebenfalls auf beiden Seiten gleich. Drückt man die Gabel beim Prüfen an die Rolle, so soll eine kleine Winkelbewegung deutlich sichtbar sein.

Bild 13 u. 14

Ankerhemmung 14

Während zu knappes Messerspiel Streifungen an der Rolle hervorruft, sind die Folgen eines zu reichlichen Spieles die gleichen wie beim Hörnerspiel. Auch die Sicherung des Ankers kann nicht mehr gewährleistet werden, es besteht die Gefahr des Ausschwingens.

Da man oft die Meinung vertritt, dass die Form des Messers wenig Einfluss auf die Regulierung der Uhr habe, möchte ich hier darauf zurückkommen. Die Punkte, welche beim Sicherungsvorgang des Messers die Hauptrolle spielen, ergeben nicht irgendwelche geometrische Figuren, sondern eine erprobte und durchkonstruierte Form (Bild 14). Hier liegt der Winkel um 80 bis 85°. Die scharfe Schneide ist abgerundet. Die zweite Möglichkeit ersieht man in Bild 15. Diese Form ist unvorteilhaft, da hier ein Einhaken möglich ist, falls die Sicherheitsrolle an ihrem Umfang raue Stellen aufweist. Die dritte Form des Messers wäre Bild 16. Da hier das Festhaken völlig ausgeschlossen ist, erscheint uns diese Form günstiger als die vorhergehende. Dieses Messer aber ist eine große Gefahrenquelle. Der Berührungspunkt P ist durch die stumpfe Form vom idealen Punkt M abgekommen. Der Winkel ά hat sich hier wesentlich vergrößert. Die Gefahr des Quetschens rückt in unmittelbare Nähe, je weiter man sich vom Punkt M entfernt.

Bild 15 u. 16

Ankerhemmung 16

Wir sehen also, dass auch scheinbare Kleinigkeiten in der Hemmung eine wesentliche Bedeutung haben.

Kategorie: Kleinuhr, Uhrentechnik
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