Das Tourbillon – Uhrmacherkunst in Bewegung

16. Juni 2025 von Redaktion

nach Fritz Hönig (UJS 12/92, S.31 ff.)

🔧 Teil 1: Einleitung – Die Faszination der Uhrenkomplikationen

Uhren-Komplikationen – also besondere Zusatzfunktionen in mechanischen Uhren – sind wahre Meisterwerke der Mikromechanik. Den Anfang macht ein Klassiker unter den Komplikationen: das Tourbillon.

In der Uhrmacherschule hört man oft die Frage:
„Wie funktioniert das Tourbillon eigentlich genau?“

Zwar gibt es dazu schon viele Fachbücher, doch oft sind sie teuer, vergriffen oder zu kompliziert für den Nachwuchs. Unser Ziel ist es daher, diese Wissenslücke auf praktische Weise zu schließen – leicht verständlich und dennoch technisch fundiert.

🌀 Teil 2: Was ist ein Tourbillon – und warum ist es so besonders?

Das Tourbillon ist für viele Uhrmacher das ultimative Symbol klassischer Handwerkskunst. Für Sammler ist es ein fast unerreichbarer Traum – und für Uhrmacherlehrer ein hervorragendes Beispiel für die höchsten Höhen der Uhrmacherei.

Ein ganz besonderes Exemplar ist das „Tourbillon unter drei rotgoldenen Brücken“, das 1991 von Girard-Perregaux zum 200. Jubiläum neu aufgelegt wurde – eine Reminiszenz an ein Design von 1880.

Drei-Brücken-Tourbillon
Drei-Brücken-Tourbillon

Ein noch viel berühmterer Name ist jedoch der von Alfred Helwig, dem großen Glashütter Uhrmachermeister. Er lobte das Tourbillon als, “eine Uhr, die die Zeitmesskunst in vollkommener Weise dient.“

Während andere Komplikationen oft nur optische oder akustische Effekte liefern, verbesserte das Tourbillon tatsächlich die Ganggenauigkeit – also das wahre Herzstück der Uhrmacherei.


🔬 Teil 3: Warum das Tourbillon so selten ist

Nur etwa 650 Tourbillonuhren wurden früher in traditioneller Bauweise hergestellt. Ihr Wert – oft mehrere Hunderttausend EURO – erklärt sich nicht nur durch die Seltenheit, sondern auch durch die technische Meisterschaft, die zu ihrer Fertigung nötig ist.

Heutzutage kann man zwar mit computergesteuerten Maschinen (CNC, Laser) vieles einfacher herstellen – doch selbst dann ist das Tourbillon eine besondere Herausforderung. Deshalb ist nicht zu erwarten, dass bald günstige „Volkstourbillons“ den Markt überschwemmen.

Übrigens: Schon im 19. Jahrhundert wurde erkannt, dass ein Tourbillon nicht zwingend nötig ist, um die höchste Ganggenauigkeit zu erreichen – aber zur Zeit seiner Erfindung um 1800 war es tatsächlich ein großer Fortschritt.


Teil 4: Die technischen Probleme, die zum Tourbillon führten

Um zu verstehen, warum das Tourbillon überhaupt erfunden wurde, muss man einen Blick auf die Probleme werfen, mit denen Uhrmacher früher zu kämpfen hatten – allen voran das Thema Temperaturkompensation.

🥶🔥 Temperaturprobleme bei alten Uhren

Früher bestand die Spiralfeder aus gehärtetem Stahl, dessen Elastizität sich je nach Temperatur stark veränderte. Das hatte zur Folge, dass sich die Uhr bei Kälte oder Wärme unterschiedlich schnell bewegte.

Um das auszugleichen, entwickelte Abraham Louis Breguet sogenannte Bimetall-Unruhen. Dabei wurde ein Reif aus Stahl mit einer Schicht aus Messing verbunden. Da sich beide Metalle bei Temperaturwechsel unterschiedlich ausdehnen, konnte man diesen Effekt nutzen, um das Gangverhalten zu stabilisieren.

⚖️ Der Schwerpunktfehler

Ein weiteres Problem war der sogenannte Schwerpunktfehler: Wenn sich die Unruh nicht exakt symmetrisch bewegt, entstehen minimale Abweichungen im Gang – besonders dann, wenn die Uhr nicht flach liegt, sondern hängt (wie bei einer Taschenuhr in der Westentasche).

Für Schiffs-Chronometer war das kein Problem, denn diese lagen meist ruhig in einer horizontalen Lage (kardanische Aufhängung). Aber bei Taschenchronometern wurde dieser Fehler deutlich – und genau hier setzt das Tourbillon an.


🔁 Teil 5: Die geniale Idee des Tourbillons

Da Breguet keine perfekte Lösung zur Beseitigung des Schwerpunktfehlers fand, dachte er „um die Ecke“: Wenn man den Fehler nicht komplett verhindern kann, warum ihn nicht durch ständige Bewegung ausgleichen?

🔄 Die Grundidee:

Wenn man die gesamte Regulierorganeinheit (also Unruh, Anker und Hemmungsrad) kontinuierlich dreht, gleichen sich die Fehler aus den unterschiedlichen Lagen im Durchschnitt aus.

Dabei dreht sich nicht die ganze Uhr – sondern nur ein Teil des Werks, der sogenannte Tourbillon-Käfig. Je nach Bauart dauert eine Umdrehung eine Minute oder mehr.


⚙️ Teil 6: Wie ein Tourbillon funktioniert

In der klassischen Form – dem Ein-Minuten-Tourbillon – sitzt die gesamte Hemmung (Unruh, Anker, Hemmrad) in einem Käfig, der durch das Sekundentrieb angetrieben wird. Das feststehende Sekundenrad bleibt auf der Platine verschraubt, während das drehende Käfiggestell über ein kleines Zahnrad daran entlangläuft – ähnlich wie bei einem Planetengetriebe.

Je nach Bauweise gibt es auch 2-, 4-, 5- oder 6-Minuten-Tourbillons, aber das Prinzip ist immer gleich: Durch ständige Rotation wird ein gleichmäßiger Gang ermöglicht.

Ein-Minunten-Tourbillon klassischer Bauart
Ein-Minunten-Tourbillon klassischer Bauart

🧮 Teil 7: Warum der Bau so schwierig ist

Bis zur Sekundentriebwelle wird das Drehmoment (die Kraft) das von der Feder kommt stark reduziert – es kommt nur ein Bruchteil der ursprünglichen Energie dort an. Und trotzdem muss dieser kleine Rest:

  1. den Käfig mit Inhalt in Bewegung setzen,
  2. und das mehrmals pro Sekunde.

Die mechanischen Belastungen sind enorm, vor allem beim Anhalten und Wiederanfahren des Systems. Besonders kritisch ist das für die Gangfeder der Hemmung, die als eine Art „Puffer“ dienen muss.

Die einzige Möglichkeit, dieses Problem zu lösen: Der Käfig muss so leicht wie möglich sein – oft mit Rahmenstärken unter 0,2 mm!


Teil 8: Welche Hemmung ist die beste fürs Tourbillon?

Ein Herzstück jeder mechanischen Uhr ist die Hemmung, also das System, das den Gang reguliert. Im Tourbillon stellt sich dabei die Frage: Chronometerhemmung oder Ankerhemmung?

🔩 Chronometerhemmung nach Earnshaw

Oft wird die die klassische Chronometerhemmung befürwortet, wie sie Thomas Earnshaw entwickelt hat – mit einer sehr feinen Feder (nur ca. 0,03 mm dick). Diese fängt die Erschütterungen des drehenden Käfigs elastisch ab und reduziert dadurch den Verschleiß.

Chronometerhemmung mit Feder
Chronometerhemmung mit Feder

Alfred Helwig schrieb dazu sinngemäß: „Wenn schon Tourbillon, dann richtig – mit Chronometergang, nicht mit Ankergang!“

Diese Hemmung ist jedoch empfindlicher gegenüber Erschütterungen – besonders, weil die Gangfeder nicht perfekt ausgewuchtet werden kann. Manchmal bleibt bei einem Stoß sogar die Unruh stehen. Trotzdem hielten große Uhrmacher an ihr fest.

⚙️ Ankerhemmung beim Fünf-Minuten-Tourbillon

Im Gegensatz dazu ist die Ankerhemmung robuster und mechanisch einfacher umzusetzen – besonders bei größeren Tourbillons, wie dem Fünf-Minuten-Tourbillon. Die geringere Drehgeschwindigkeit reduziert dabei die Belastung des gesamten Käfigs.

Fünf-Minuten-Tourbillon
Fünf-Minuten-Tourbillon

🕳️ Teil 9: Varianten des Tourbillons

🧱 Klassisches Tourbillon

Hier wird der Käfig oben und unten gelagert – stabil, aber mechanisch aufwendig.

✈️ Fliegendes Tourbillon

In den 1920er-Jahren entwickelte Alfred Helwig mit seinen Schülern eine neue Form: Das „Fliegende Tourbillon“. Dabei entfällt das obere Lager vollständig – der Käfig wird nur von unten gehalten. Das erlaubt einen freien Blick auf die drehende Mechanik – ein absoluter Augenschmaus.

Technisch war diese Variante ebenfalls ein Fortschritt: Die Kräfte wirken über kürzere Hebelstrecken, was unerwünschte Drehschwingungen reduziert.

⚖️ Halbfliegendes Tourbillon

Noch raffinierter ist das halbfliegende Tourbillon: Hier sitzt das obere Lager nicht mehr direkt im Käfig, sondern in einer Brücke außerhalb des Gestells. Das reduziert die Masse des Drehgestells weiter und erlaubt größere Unruhen – ein echtes Plus für Präzision und Effizienz.

Tourbillonarten
Tourbillonarten

🎠 Teil 10: Was ist eigentlich ein Karussell?

Das sogenannte Karussell ist ein Verwandter des Tourbillons – allerdings mit einem ganz anderen Antriebskonzept.

Beim Tourbillon wird der Käfig vom Sekundenrad oder Kleinbodenrad angetrieben. Beim Karussell sitzt der Antrieb seitlich und ist meist separat gelagert.

Die Umlaufzeiten sind deutlich länger – beim berühmten „Lange-Karussell“ zum Beispiel 52,5 Minuten. Das reduziert die mechanischen Belastungen, ist einfacher zu bauen – und deutlich kostengünstiger. Manche Modelle, wie das Waterbury-Karussell aus den USA, ließen sogar das ganze Werk rotieren!


🏁 Teil 11: Schlussbetrachtung – Die Königsdisziplin der Uhrmacherei

Das Tourbillon ist nicht einfach nur ein technisches Detail in einer Uhr. Es ist Symbol, Kunstwerk und Herausforderung zugleich – der Beweis, dass mechanische Präzision zu wahrer Eleganz werden kann. Für viele Uhrmacher ist es die Krönung ihres Schaffens.

Fritz Hönig – dieser Artikel gründet auf seinem Artikel in der UJS 12/1992, S.31 ff. –berichtet von einem seiner begabtesten Schüler, Andreas Weber, der sich dieser Herausforderung gestellt hat. Und das nicht nur einmal: Er baute nacheinander alle bekannten Varianten des Tourbillons – klassisch, fliegend, halbfliegend, mit Anker- wie auch mit Chronometerhemmung – und jedes Mal in handwerklicher Vollendung.

Sein Meisterstück war eine vollständig selbst gefertigte Armbanduhr mit halbfliegendem Tourbillon – ein Projekt, das nicht nur Geduld, Geschick und Präzision erforderte, sondern auch echtes uhrmacherisches Gespür.

Ein anderer Schüler, Frederic Röhrl, fertigte ein Modell-Tourbillon für eine Stiluhr. Auch das, so betont Hönig, sei ein mutiger Griff nach den Sternen – ein Beweis dafür, dass der Reiz des Tourbillons nicht in seiner Nützlichkeit liegt, sondern in seinem Anspruch und Ideal.

✨ Ein Vermächtnis der Meister

Diese Werke stehen in der Tradition großer Uhrmacher wie Breguet oder Helwig. Sie sind keine Produkte der industriellen Massenfertigung, sondern Ausdruck individueller Meisterschaft. Jede Tourbillon-Uhr ist ein kleines Denkmal – an jene, die bereit sind, Grenzen zu überschreiten, sich in Geduld zu üben und mit eigener Hand das scheinbar Unmögliche zu verwirklichen.

Alfred Helwig, der als Lehrer ganze Generationen von Uhrmachern prägte, formulierte es treffend:

„Wer Uhrmacherkonstrukteur werden will, darf sich nicht damit begnügen, alles Bestehende zu kennen. Er muss schöpferisch tätig sein. Etwas noch nie Dagewesenes zu schaffen – das ist die Aufgabe, der sich ein wahrer Uhrmacher stellt.“

🧠 Fazit: Der Wert liegt nicht im Nutzen, sondern im Anspruch

Ein Tourbillon wird heute kaum noch gebaut, um Ganggenauigkeit zu verbessern – dafür gibt es Quarz- und Funkuhren. Doch gerade deshalb ist es so wertvoll: Weil es über den reinen Zweck hinausgeht. Es zeigt, was möglich ist, wenn Können, Wissen, Leidenschaft und Geduld zusammenkommen.

In einer Welt, in der Schnelligkeit und Effizienz dominieren, steht das Tourbillon für etwas Anderes: Für den Mut zum handwerklichen Idealismus.

Kategorie: Uhrentechnik
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