Wie repariere ich einen Glashütter Taschenuhr-Ankers?

15. September 2023 von Redaktion

Uhrmachermeister Hans Grotkaß hat sich 1956 in der Deutschen Uhrmacher-Zeitschrift, Nr.12, ausführlich mit der Ankerreparatur auseinandergesetzt. Wir geben den Artikel – leicht gekürzt – wieder, da er sich als Ergänzung zu dem Buch „Die Armband- und Taschenuhr in der Reparatur“ eignet:

„Leider geht bei einer Neuanfertigung eines Glashütter Goldankers über die Hälfte der Arbeitszeit durch die umfangreiche Vorbereitungen verloren, die bei Totalverlust des Ankers mit einer maßstabgerechten Gangzeichnung beginnen. So scheitert ein solches Projekt normalerweise schon an der Kostenfrage.

Wesentlich anders liegen die Verhältnisse dagegen, wenn der Kunde zur Bezahlung eines entsprechenden Preises bereit ist, z. B. wenn es sich um eine außergewöhnlich wertvolle Uhren handelt, für die es aber leider keine Ersatzteile nicht mehr gibt. Besonders gilt das für Glashütter Uhren, bei denen sich selbst Anfertigungen größten Ausmaßes fast immer lohnen – sind doch derartige Stücke oft ein kleines Vermögen wert.

Taschenuhr - Ankerchronometer 1A
Glashütter Taschenuhr – Ankerchronometer 1A

Die Einigung über die Höhe des Reparaturpreises ist allerdings manchmal noch ein Problem für sich. Vor allem in den Fällen, wo die Uhr noch schlecht und recht geht, können wir des Argwohns ihres Besitzers sicher sein, und wir werden trotz der unbestreitbaren Berechtigung unserer Forderung häufig nicht recht froh, weil wir hier wieder etwas von dem nur halb versteckten Misstrauen gespürt haben, dem unser Beruf nun einmal ausgeliefert ist. Aber wenn auch die finanzielle Seite der Reparatur zu unserer Zufriedenheit geregelt wird, die Arbeit selbst ist dadurch um nichts weniger umständlich und zeitraubend.

Deshalb dängt sich die Frage auf, ob es denn aus diesem Dilemma – Zeitverlust und hoher Preis – keinen Ausweg gibt. Er ist in der Tat vorhanden, weil Beschädigungen des Ankers fast ausschließlich an seiner Gabel auftreten. Der Ankerkörper mit den Armen ist bei besseren Uhren verhältnismäßig stabil gehalten, wogegen Gabelstiel und Gabel oft um über die Hälfte dünner sind. Eine derartige Schwächung kann nicht willkürlich vorgenommen werden sein; sie ist vielmehr bedingt durch den Zwang, das Gewicht des Ankers zu vermindern und die Werkhöhe rnöglichst gering zu halten. Doch ermöglicht uns gerade dieser Stärkeunterschied eine beträchtliche Vereinfachung der Reparatur.

Wenn nun der Arbeitsgang an einem Glashütter Anker erläutert werden soll, so geschieht das lediglich deshalb, weil hier die kalkulatorischen Voraussetzungen am ehesten gegeben sind. Wir können das gleiche Verfahren auch auf alle anderen Anker übertragen, gleichgültig, aus welchem Werkstoff sie bestehen. Soweit dabei, wie bei Stahlankern, Besonderheiten zu beachten sind, werden wir am Schluss darauf zurückkommen.

Wir nehmen also an, bei unserem Glashütter Taschenuhranker sei ein Gabelhorn geknickt und eingerissen, und zwar derart, dass jeder Versuch, daran zu richten, ihm vollends den Garaus machen würde. Zunächst beschaffen wir uns das erforderliche Material, hier bekanntlich eine Goldlegierung. Benötigt wird ein Plättchen 585/000 in der Größe des Ankers; die Dicke wird von der dicksten Stelle des Gabelstieles bestimmt und beträgt bei Taschenuhrankern etwa 40/100 mm. Doch wählen wir alle Maße nicht zu knapp, damit uns bei Bedarf noch etwas Spielraum verbleibt. Es empfiehlt sich, dos Plättchen von einem Goldschmied auf die gewünschte Stärke hartwalzen zu lassen; das ist einfacher und technisch sauberer als Harthämmern mit anschließendem Flachfeilen. Außerdem lassen wir uns noch ein wenig Golddraht von 0,4 mm Durchmesser geben.

Bevor wir irgendetwas am Anker selbst unternehmen, legen wir einen Umriss seiner jetzigen Gestalt fest. Das geschieht auf einer Messingplatte, in die wir zwecks Aufnahme der Ankerwelle ein genau passendes Loch gebohrt haben. Wir entfernen also den im Eingangsarm befindlichen Begrenzungsstift und fixieren mit einer Reißnadel an Hand des aufgelegten Ankers eine Anzahl wichtiger Strecken (Bild 1).

Glashuetter_Anker1
Glashütter Anker Bild 1

Zusätzlich ziehen wir noch eine über die Gabel hinaus verlängerte Mittellinie a und im rechten Winkel dazu eine weitere Linie b entlang den Hörnerspitzen. Wer will, kann darüber hinaus noch die Gesamtlenge des Ankers über b-c messen; unbedingt nötig ist das jedoch nicht. Nun können wir sofort den Gabelstiel bei d vom Anker trennen, was am besten durch Einfeilen und Abbrechen geschieht; doch achten wir darauf, dass noch ein kurzer Rest des Stieles am Anker erhalten bleibt, – warum, werden wir nachher sehen. Das abgebrochene Stück heben wir gut auf.

Der gekürzte Anker (Bild 2 a) wird jetzt mit seiner Unterseite auf eine Lackscheibe des Drehstuhls aufgebracht und nach der Ankerwellenbohrung zentriert. Wenn dieses Verfahren nicht sympathisch ist, kann auch anders vorgehen: man lackt den Anker in gleicher Weise auf eine ganz flache Messingplatte, die nach dem Erkalten in die Planscheibe gespannt wird. Hier ist das Zentrieren ein Kinderspiel.

Glashuetter_Anker2a
Glashütter Anker Bild 2a

Nun tritt der Kreuzsupport in Tätigkeit. Eingespannt ist ein Eckstichel oder besser noch ein nicht zu schwacher Lochstichel, mit dem wir in den Anker eine Stufe eindrehen, deren ungefährer Durchmesser Bild 2 b entnommen werden kann. Die erforderliche Tiefe zeigt uns der absichtlich stehengelassene Rest des Gabelstiels, der genau dann verschwunden ist, wenn wir das nötige Maß erreicht hoben. Nach dem Ablacken und Auskochen in Spiritus bringen wir in den beiden Ankerarmen die Bohrungen a und b (Bild 2b) an; die Bohrlocher werden an der Unterseite etwas ausgesenkt.

Glashuetter_Anker2b
Glashütter Anker Bild 2b

Mehr ist am Anker vorerst nicht zu tun. Wir nehmen uns daher die Goldplatte vor, passen deren eines Ende genau in die soeben fertiggestellte Ausdrehung ein und körnen sie durch die Ankerwellenbohrung von unten her an, wobei wir die beiden Teile fest gegeneinander drücken. Ist das geschehen, so trennen wir sie wieder voneinander und durchbohren die Platte an der angezeichneten Stelle mit einem Bohrer von nicht ganz Ankerwellenstarke. Mit der Reibahle wird die Bohrung vorsichtig bis zum Fertigmaß erweitert, worauf sich Anker und Platte mit Hilfe der Ankerwelle sicher genug miteinander vereinigen lassen. Ebenfalls von unten her bohren wir jetzt auch bei a und b durch die Platte hindurch, reiben zunächst das eine Loch von oben etwas auf, und zwar nur so weit, bis die Reibahle überall fasst, drücken vorerst einen messingenen Spiralstift fest ein, der oben mit dem Anker abschließen muss (Unten kann er etwas vorstehen!) und wiederholen den gleichen Arbeitsgang bei der anderen Bohrung.

Wir legen jetzt den Anker deckungsgleich auf den Umriss (Bild 1), den wir zu Anfang aufgezeichnet hatten und übertragen die beiden Hilfslinien a und b auf das eingesetzte Goldplättchen, das unsere neue Gabel werden soll. An Hand der sorgsam aufbewahrten Originalgabel können wir alsdann die weitere Form annähernd festlegen, wobei wir allerdings daran denken müssen, dass wir auf diese Weise natürlich keine Fertigmaße erhalten können. Doch ist das auch gar nicht erforderlich, weil die letzte Formgebung ohnehin erst nach Prüfung im Werk erfolgt.

Das Ausfeilen gibt keine besonderen Probleme auf. Es bleibt dabei jedem selbst überlassen, ob er hierzu das Plättchen wieder vom Anker lösen oder auf ihm belassen will. Einschließlich des Gabeleinschnittes und der Ausrundung der Gabelhörner kann alles vorgefeilt werden, doch gehen wir jetzt noch an keiner Stelle bis auf das Fertigmaß herunter. 1st die Form etwa erreicht, so wird am Zusammenwirken von Ankerrad und Anker kontrolliert, ob wir die Gabel noch seitlich zu richten haben. Dazu muss natürlich vorher der Begrenzungsstift an seinen Platz gebracht werden. Den Gabeleinschnitt polieren wir aus; er darf seine richtige Breite erst dadurch erhalten.

Jetzt kann auch die Unruh eingesetzt werden; wir führen ihren Hebelstein mit äußerster Vorsicht in die Gabelhörner ein und korrigieren nach Bedarf. Fallt die anschließende ,,Generalprobe” zu unserer Zufriedenheit aus, so bringen wir am Gabelteil noch die Aufnahmebohrung für das Sicherheitsmesser an. Beim Original weist dieses Messer eine quadratische Form auf, um jegliches Verdrehen auszuschließen, – ein Vorteil, der nicht von der Hand zu weisen ist. Wenn wir also Sicherheit erreichen wollen, gehen wir in gleicher Weise vor. Die Bohrung wird jedoch nicht aufgefeilt, sondern mit einem konischen Vierkant aufgedornt.

Damit können wir uns den Abschlussarbeiten zuwenden. Diese umfassen: das Abschrägen des eingesetzten Stückes zur Gabel hin, das auf der Unterseite erfolgt und wofür uns die alte Gabel als Muster dienen kann; – das Abschleifen des oben überstehenden Materials; – das Auswechseln der Spiralstifte gegen konisch gefeilte Goldstifte sowie deren Vernietung; – die endgültige Verbesserung der Gesamtform; – die Herstellung des quadratischen Sicherheitsmessers aus Golddraht, sein Einsetzen und Kürzen und schließlich das Polieren der gesamten Ankeroberflache, wozu übrigens die Zinnplatte hervorragend geeignet ist. Durch eine kleine Kantenbrechung wird der entstandene Grat beseitigt. Damit liegt der Anker fertig vor uns; bei sauberer Arbeit ist selbst unter der Lupe kaum etwas von der Reparatur zu sehen.

An dieser Stelle soll noch ein Wort zu dem Auswiegen des Ankers gesagt werden, von dem in vielen Fachbüchern die Rede ist. Manche Autoren schränken allerdings diese Vorschrift gleich wieder stark ein, indem sie lediglich die ,,Möglichkeit” erwähnen, die hier gegeben sei. Auch wir wollen dos nicht gar zu ernst nehmen. Ein solches Vorhaben ist zwar technisch durchaus möglich, doch müssten wir dann die Masse an den langen Armen drastisch verkleinern, und das wurde zu solcher Minderung der Stabilität fuhren, dass man in der Praxis besser darauf verzichtet. Ein ausgewogener Anker zählt jedenfalls zu den ganz großen Seltenheiten. Achten wir also in der Hauptsache darauf, dass die neue Gabel hinsichtlich ihrer Stärke mit der alten übereinstimmt. Es besteht dann kein Grund zu der Annahme, die Uhr könne in Zukunft schlechter regulieren als früher. Wer es trotzdem einmal versuchen will, der denke daran, dass eine Erleichterung der Gabel allein nichts nützt, sondern dass man dann auch noch am Ausgangsarm Material abnehmen muss, da das Gewicht des Begrenzungsstiftes bei weitem nicht ausreicht, um die unterschiedlichen Hebellängen zu kompensieren.

Wir wollen jetzt kurz die besonderen Vorschriften erwähnen, die bei der Behandlung von StahIankern erforderlich sind. Hier ist anzuraten, den Anker nach Herausnahme der Hebesteine zunächst ziemlich weit anzulassen, damit er sich gut bearbeiten lässt.

Nach der in gleicher Weise erfolgten Fertigstellung wird der gesamte Anker wieder gehärtet und etwa dunkelgelb angelassen. Auf der Oberseite verschwindet diese Farbe beim Polieren; wen sie auf der Unterseite stört, kann sie mit Ölsteinpulver abschleifen. Das häufig angewandte Beizen in verdünnter Säure ist hier unbedingt zu verwerfen, da ein an der Reparaturstelle etwa verbleibender Säurerest den ganzen Anker in kürzester Zeit zerstört, und dann führt uns kein Weg mehr an einer vollständigen Anfertigung vorbei! Falls das Sicherheitsmesser, wie in der Mehrzahl, in einem besonderen ,,Messerböckchen” befestigt ist, wird dieses erst ganz zum Schluss angefertigt und eingesetzt. Das Härten erübrigt sich, weil das Teil keiner besonderen Beanspruchung unterliegt.

Die für die Reparatur erforderliche Arbeitszeit vermindert sich naturgemäß mit jeder Wiederholung beträchtlich. Nach einiger Übung wird man kaum mehr als 4–5 Stunden benötigen, doch selbst wenn der eine oder andere mit dieser Zeit nicht auskommt – die Anfertigung eines kompletten Ankers würde ein Mehrfaches erfordern. An Qualität steht die Reparatur der Anfertigung in nichts nach, im Gegenteil: sie erfüllt die zu Beginn an sie gestellten Bedingungen – Zeitgewinn und Preisminderung – vollkommen. Wir haben deshalb um so weniger Veranlassung, diese Arbeit zu scheuen oder gar abzulehnen, als sie auch weiterhin nicht oft erforderlich sein wird. 1st dies jedoch dann und wann der Fall, so sollten wir die darin liegende Möglichkeit einer

Einzelwerbung für unser Handwerk wie auch für unsere eigene Geschicklichkeit nicht unbeachtet lassen. Machen wir also ruhig davon Gebrauch, indem wir dem Kunden den fertigen Anker zur ,,Begutachtung” unter der Lupe vorlegen.

Wir werden erleben, dass dieser Kunde nicht nur den geforderten Preis willig bezahlt, sondern dass er zu einer ,,lebendigen Werbung” für uns, unsere Werkstatt und unser Geschäft wird, weil er sich nicht auf Grund von allgemeinen Versprechungen, sondern durch Tatsachen von unserer Leistungsfähigkeit überzeugen konnte.

Abschließend sei noch ein psychologischer Gesichtspunkt erwähnt, dessen Bedeutung wir nicht unterschätzen sollten. Gerade in der heutigen Ara der ,,Schnellreparatur” und der Fertigfurnituren brauchen wir vor uns selbst von Zeit zu Zeit die Bestätigung, dass wir zu mehr in der Lage sind als zum bloßen Reinigen, Zusammensetzen und Ölen. Dazu aber ist nichts so sehr geeignet, wie eine außerhalb des üblichen Schemas liegende Arbeit und das Gefühl eines persönlichen Könnens, das wir anderen voraushaben.“

Kategorie: Kleinuhr, Uhrentechnik
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