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Technik

 

 

Ein unerkannter Fehler beim Stahlbläuen
Nach einem Vortrag, gehalten bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Chronometrie, 17.10.1986 in Augsburg.

Mit freundlicher Genehmigung durch Wolfgang Lympius
Alte Uhren und moderne Zeitmessung 4/1987, S. 35 ff.

Bei der Bläuung von Stahlteilen entstehen auf der Oberfläche derselben, je nach Zeit- und Temperatureinwirkung, Oxide verschiedener Zusammensetzung und Stärke, wodurch die Anlauffarben - auch Blau - hervorgerufen werden. Ohne Sauerstoffgegenwart können Anlauffarben nicht entstehen.Das Stahlbläuen im nichtindustriellen Bereich, besonders im Restaurierungsbetrieb, ist eine diffizile Tätigkeit. Es gibt verschiedene Fehlerquellen, die ein einwandfreies Ergebnis immer wieder zunichte machen. An erster Stelle stehen hier Unsauberkeit und Fett, die eine homogene Oxidation der Stahloberfläche verhindern. Dieser Fehler ist an grauen Flecken, die unmittelbar nach dem Bläuvorgang sichtbar sind, leicht zu erkennen. Wenn ein fertig bearbeitetes Stahlteil nicht mit der nötigen Vorsicht gehandhabt und konserviert wird (s. u.), kann nach acht Tagen bis einigen Wochen Rost als rotbraune Schicht sichtbar werden (Abb. 1). Es gibt aber immer wieder Mißerfolge, die nicht ohne weiteres zu erklären sind. Hier zeigen sich bräunliche, rostähnliche Flecke, welche sofort nach dem Bläuvorgang feststellbar sind; es kann sich somit nicht um Rost handeln (Abb. 2). Diesem in der Literatur bisher nicht beschriebenen Phänomen soll hier nachgegangen werden.

1 Rostbildung nach Bläuung
Abb. 1 Rostbildung nach Bläuung
2 Fleckige Bläuung eines Spindelklobens aus einer Tischuhr Mitte 16. Jahrhundert

Abb.2 Fleckige Bläuung eines Spindelklobens aus einer Tischuhr Mitte 16. Jahrhundert

Im modernen Restaurierungsbetrieb werden bei der Wiederherstellung von Stahlteilen folgende Arbeitsgänge ausgeführt:

  1. Elektrolytische Entrostung mit kathodischer Schaltung in 5-10%iger Natronlauge (Natriumhydroxid, chemisch rein), Abspülen unter kaltem Wasser, Entfernung des durch die Rostreduktion entstandenen Eisenpulvers im Ultraschallbad mit einem der üblichen ammoniakalischen Reinigungsmedien (z. B. Elma 1 : 10, oder besser selbst angesetzte Lösung); nach der Entnahme aus dem Bad keine Berührung mehr mit den Fingern, Abspülen unter kaltem Wasser, Abtrocknen mit einem Einmalpapiertuch, Bläuung im Salzbad (z. B. Anlaßsalz EFFGE, AS 2, der Firma Görig & Co, Mannheim) bei ca. 290º C, Abschrecken und Spülen in kaltem Wasser, Abtrocknen mit einem Einmaltuch ohne Berührung mit der Hand
  2. Konservieren.

Bei einem dieser Vorgänge muß der Fehler entstanden sein. Das Entrostungsbad scheidet hierfür aus, da das verwendete Natriumhydroxid chemisch rein ist, und Rostvorgänge im alkalischen Milieu nicht ablaufen. Auch beim Spülen mit kaltem Wasser und sofortigem Trocknen wäre Fleckenbildung nicht erklärbar. Das Bläusalz schließlich läßt ebenfalls keine vernünftige metallurgische Erklärung für einen Mißerfolg zu. Das Augenmerk fällt also auf das Ultraschallbad mit seinem im allgemeinen mehr oder weniger gebrauchten Reinigungsmedium. Ein Modellversuch soll hier Aufschluß geben.Der rostige Zeiger einer Renaissanceuhr aus dem Ende des 16. Jahrhunderts wird kathodisch geschaltet und in das Entrostungsbad gebracht. Am Objekt steigen Wasserstoffblasen auf (Abb. 3, Zeiger im elektrolytischen Entrostungsbad ); im Hintergrund sieht man die Anode aus rostfreiem Stahl.Nachdem bei ständig reduzierter Stromstärke die Entrostung komplett ist, wird das Teil entnommen und unter kaltem Wasser abgespült. Ohne Trocknung kann der Zeiger jetzt in das Ultraschallbad gebracht werden. Bei der elektrolytischen Entrostung hat sich durch Rostreduktion Eisenpulver gebildet, welches sich im schwingenden Bad als dunkle Wolken von der Stahloberfläche löst. Im Modellversuch wurde ein schon häufig benutztes Reinigungsbad genommen. Nach der Entnahme und bei der weiteren Bearbeitung sind zur Vermeidung einer Handberührung Einmalkunststoff-Handschuhe sehr praktisch.

Der nächste Arbeitsgang besteht im Abspülen mit kaltem Wasser und sorgfältiger Trocknung mit einem Einmalpapiertuch; Preßluft wird zum Trocknen nicht empfohlen, da diese ölhaltig sein kann. Im vorliegenden Versuch war bei Lupenbetrachtung bereits ein leichter rotbrauner Schimmer sichtbar.

Nach der Salzbläuung bei 290º C unter Thermometerkontrolle wird das Teil im kalten Wasser abgeschreckt, gespült, und mit einem Einmaltuch sehr sorgfältig getrocknet. Anschließend erfolgt die Konservierung. Die rotbraunen Flecken heben sich jetzt gegenüber der blauen Umgebung sehr deutlich ab (Abb. 4, Fleckig gebläuter Zeiger ).

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wurde durch den Versuch festgestellt, daß der Fehler im Ultraschallbad entstanden ist, da nach der Entnahme aus diesem die Flecken auf dem Zeiger bereits, wenn auch schwach, sichtbar waren. Um festzustellen, welche Ablagerung vorliegt, wurde ein neuer Versuch durchgeführt.

Das Rad einer Taschenuhr (Abb. 5, Taschenuhrrad vor der »Reinigung« ) wurde für ein paar Tage in einem neu angesetzten ammoniakatischen Reinigungsbad »vergessen«. Es wurde so in das Bad eingehängt, daß ein Teil des Zahnkranzes sich außerhalb der Flüssigkeitsoberfläche befindet. Nach drei Tagen sieht man (Abb. 6, Taschenuhrrad im Reinigungsbad »vergessen«. Das dickere Zahnkranzteil hing außerhalb der Lösung! ), daß das Stahltrieb vollkommen unverändert ist; das Messing jedoch ist stark korrodiert, an der Grenze zwischen Badoberfläche und Luft ist es sogar total zerstört. Offensichtlich bringt der Luftsauerstoff in Verbindung mit dem Bad eine besonders starke Wirkung mit sich. Der Teil des Rades, welcher in die Flüssigkeit eintauchte, ist kräftig reduziert worden, die Oberfläche ist aber einigermaßen sauber. Das in die Luft ragende Teil hingegen wurde mit Korrosionsmasse überzogen, hier ist die Badflüssigkeit nach oben gekrochen und hat im Verein mit Luftsauerstoff diese Veränderung hervorgerufen. Da die Korrosionsmassen nicht weggeschwemmt werden konnten, blieben sie auf dem Messing liegen.

Wenn man mit einer Platinöse etwas von dieser Badflüssigkeit (evtl. eingedampft) entnimmt und in eine farblose Flamme hält, so leuchtet die unverwechselbare grün-blaue Spektralfarbe des Kupfers auf. Somit ist die Anwesenheit von Kupfer im Bad nachgewiesen. Daß sich Kupfer in ammoniakalischen Flüssigkeiten löst, ist schon lange bekannt. Für die am Chemismus des Vorganges Interessierten kann gesagt werden, daß Kupfer(II)-tetramminhydroxid gebildet wird (Formel I). Dieses verändert sich jedoch zu verschiedenen Kupfer(II)-tetramminkomplexen, von denen Formel 2 bei n = 1 den einfachsten, Formel 3 den kompliziertesten Komplex darstellen. Diese Verbindungen sind sehr instabil und zerfallen leicht in Ammoniak und Kupfer. Das freie Kupfer kann sich nunmehr auf anwesenden Metallen abscheiden, so z. B. auch auf zu reinigenden Stahlteilen. Besonders in den Rostnarben. welche durch ihre Unebenheit eine sehr große Oberfläche darstellen und daher chemisch hochaktiv sind, finden solche Kupferablagerungen statt, wie auch auf Abbildung 2 besonders deutlich zu sehen ist. Diese Abscheidungen können auch auf Reinigungssieben, bei hoher Kupferkonzentration sogar auf Messingteilen erscheinen, wodurch die Oberfläche eine typische rötliche Verfärbung erhält.

              

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß die chemischen Vorgänge in Wirklichkeit noch komplizierter sind, da das Kupfer als sogenannter Autoxidator und das Ammoniak als Akzeptor reagieren. Auch Zink aus dem Messing geht neben anderen Schwermetallen ebenfalls bei Gegenwart von Ammoniak unter Komplexbildung in Lösung. Hierüber muß man sich bei der Benutzung, der o.g. Bäder im klaren sein! Auf alle Einzelheiten einzugehen würde zu weit fuhren.

Es ist übrigens interessant festzustellen, daß man wohl schon im 19. Jahrhundert wußte, daß auch Fette und Öle bei Luftzutritt Kupfer, etwa aus Messingrädern, lösen können - siehe die grünliche Färbung von klassischem Uhrenöl auf Rädern und Trieben, oft schon nach kurzer Zeit.

Um nun das Kupfer von den zu bläuenden Teilen wieder zu entfernen. wird der gleiche Vorgang benutzt wie oben beschrieben. Es ist gleichzeitig die Gegenprobe zu den Modellversuchen. Der fleckige Zeiger wird einfach in konzentriertes, 30%iges Ammoniakwasser (Salmiakgeist) gelegt. Eine Zeitbegrenzung ist nicht notwendig, da im alkalischen Milieu das Eisen nicht angegriffen wird. Wenn die Kupferablagerung nicht allzu gering war, erkennt man mit bloßem Auge die Blaufärbung des Salmiakgeistes als Zeichen der Bildung einer Kupferverbindung. Diese läßt sich mit der Flammenprobe verifizieren.

Somit ist bewiesen, daß eine immer wiederkehrende Störung bei der Bläuung durch Kupferniederschlag aus Reinigungsbädern entstehen kann. Bedenken muß man auch, daß solche Kontaminierungen bereits bei früheren Reinigungen, also nicht in der eigenen Werkstatt, unerkannt gebildet sein können. In Abbildung 7 (Zeiger aus Abb. 4, jetzt einwandfrei gebläut) ist der vom Kupfer befreite, einwandfrei gebläute Zeiger zu sehen. Abbildung 8 (Der Kloben aus Abb. 2, einwandfrei gebläut, in seinem Werk) zeigt den korrekt gebläuten und konservierten Spindelkloben in situ. Welche Folgerungen müssen nun gezogen werden? Die in alten Lehrbüchern gegebenen Hinweise, vor einer Bläuung die Stahlteile zu schleifen und auf Hochglanz zu polieren, hatten ihren Sinn. Bei der Restaurierung antiker Zeiger und Stahlteile aber stoßen wir hier an sehr enge Grenzen. Ein Überschleifen oder gar Polieren würde die Oberfläche weitgehend zerstören. Die erhaltene Oberfläche ist aber ein wesentliches Merkmal und Charakteristikum des alten Gegenstandes, und deren Veränderung würde eine Wertminderung bedeuten. Rostnarben sind in aller Regel überhaupt nicht mehr entfernbar. Daraus geht hervor, daß eine mechanische Entrostung durch Schleifvorgänge nicht zulässig ist. Besonders verwerflich ist die Bearbeitung in der Trommel; hierbei erhalten die Teile eine Oberflächen-Struktur, abhängig von den Polierkörpern, die sie nie hatten.

Die einzig praktikable Möglichkeit, bei der Uhrenrestaurierung konservatorisch korrekt vorzugehen, ist die elektrolytische Entrostung. Mit diesem Verfahren kann auch in Rostspalten und -narben der Rost entfernt werden, was mit mechanischen Mitteln unmöglich ist.

Auf Einmalhandschuhe und -tücher wurde schon hingewiesen. Um Ultraschallbäder prophylaktisch bei der Messingreinigung möglichst wenig mit Kupfer zu kontaminieren, dürfen dieselben auf keinen Fall beheizt werden. Der Reinigungsvorgang soll nach maximal 10 Minuten beendet sein. Die weitere Säuberung erfolgt in organischen Lösungsmitteln. Mehr als 30 ml 30%iger Salmiakgeist dürfen in einem Liter Bad nicht enthalten sein. Etwas Kupfer wird sich natürlich bei aller Vorsicht stets im gebrauchten Ultraschallbad nach Messingreinigung finden, allein schon durch die Lösung der Oxide bedingt. Wenn man ganz sichergehen will, bringt man Stahlteile vor dem Bläuen entweder in ein neu angesetztes Bad, oder legt sie in ein kleineres Einsatzgefäß mit frischer Lösung, welches im großen Bad schwimmt.

Alle behandelten Stahlteile müssen konserviert werden, da nachgewiesen ist, daß selbst bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von nur 5% der Rostvorgang wieder einsetzen kann. Einölen oder Fetten ist weniger empfehlenswert. Ein ideales Schutzmedium ist mikrokristallines Wachs (Frank W. Joel, King's Lynn, Norfolk PE30 4HL, England), welches auf der Oberfläche der Gegenstände hart wird und daher berührt werden kann.

Literatur
Gellings, P. J.: Korrosion und Korrosionsschutz von Metallen München. 1981.
Hofmann W. u. Rüdorf, W.: Anorganische Chemie. Braunschweig. 1973.
L., W.: Die elektrolytische Entrostung. Schriften der Freunde alter Uhren. Band XVII. 1978.
Meyers Lexikon (gr. Konversationslex.). 6. Aufl., 19117 Bd, 11, s. 832,
Preußer, F: Die Restaurierung und Konservierung von Metallen-1983, Hefte 2. 4, 5
Welter, G.: Die Reinigung und Erhaltung von Münzen und Medaillen. Hannover, 1963,
Arbeitsblätter für Restauratoren, Gruppe 2, diverse
Conservation of Iron. National Maritime Museum, Maritime Monographs and Reports. No. 53. 1982